P. Kamber: Reformation als bäuerliche Revolution

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Titel
Reformation als bäuerliche Revolution. Bildersturm, Klosterbesetzung und Kampf gegen die Leibeigenschaft in Zürich zur Zeit der Reformation (1522-1525)


Autor(en)
Kamber, Peter
Erschienen
Zürich 2010: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
504 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Patrick Zehnder

Der Entstehungsprozess von Peter Kambers Dissertation gestaltete sich weniger langwierig als die Publikation. Gewonnen wurden die Erkenntnisse über die Reformation auf der Zürcher Landschaft in der Mitte der 1980er Jahre im Rahmen des Nationalfondsprojekts «Bäuerliche Reformation», anschliessend verarbeitet und 1991 an der Universität Bern akzeptiert. Danach gab der Autor zeitgeschichtlichen Buchprojekten mit alternden Zeitzeugen den Vorrang, nahm aber verschiedentlich Anlauf zur Veröffentlichung, was erst in diesem Jahr gelang. Deshalb wurde die seit dem Abschluss erschienene Forschungsliteratur lediglich in den Anmerkungen und in der Bibliographie nachgetragen. Eine Passage über Brandanschläge auf die bilderstürmerischen Gemeinden fand ebenfalls nachträglich Eingang in das Werk. Ganz bewusst zitiert Kamber ausführlich aus den frühneuzeitlichen Quellen und macht sie dadurch leicht zugänglich. Die zahlreichen, vielfach Farbigen Abbildungen aus chronikalischen Quellen illustrieren die teils gewalttätigen Vorgänge. Es gelingt ihm mit Auszügen aus Predigten, Schriften und Wirtshausgesprächen – die er «Transmissionsriemen der Reformation» nenn – die Vorgänge in der frühen Phase der Zürcher Reformation auf der Zürcher Landschaft greifbar zu machen. Beispielhaft eine Schilderung aus dem Bildersturm um den Jahreswechsel 1523/24 in Weinigen an der Grenze zur eidgenössisch regierten vormaligen Grafschaft Baden: «[…] Do das die Unrüewigen vernommen, haben sie in der nach die Kammer ufbrochen und zerschlagen, dieselb Tafel in das Wirtshus tragen und die Bild Sant Johannsen und Sant Katherinen uss der Tafel genommen, uf den Tisch Sant Katherinen gelegt und Sant Johannsen ob uf si, uf Meinung, dass si söllten Junge machen; demnach einer uss inen geredt, ich han Sant Katherinen an die Fud wellen gryfen, da konnd ich vor dem Oberrock nit darzu kon [kommen] […].» (166) Anhand solcher Zitate erarbeitet der Autor eine Phänomenologie symbolischen Handelns.

Die Ausgangslage für die ansatzweise revolutionären reformatorischen Geschehnisse auf der Zürcher Landschaft bildeten die spätmittelalterliche Aufstandstradition der Bauern und deren verstärkter Wunsch nach verbesserter Seelsorge, weshalb häufig ein dorfeigener Pfarrer gefordert wurde. Örtliche gegenreformatorische Kräfte stellten sich nicht selten dagegen. Die Unruhen im Zuge der Reformation dürfen deshalb nicht mit rein materiellen Kategorien im Sinne einer Abkehr von der Kirche gedeutet werden. Vielmehr scheint – Jahrhunderte überbrückend – eine Art moderne Befreiungstheologie lateinamerikanischer Prägung die bäuerlichen Produzenten erfasst zu haben. «Die bäuerliche Reformation war eine gewaltige gesellschaftliche Erweckungsbewegung. Gesellschafts- und Religionspolitik verschmolzen auf ihrem Höhepunkt in einer einzigen evangelischen Praxis. Im Licht der neu verstandenen und neu interpretierten Heiligen Schrift erschienen das bestehende Recht und die bestehende gesellschaftliche Grundordnung als fundamental überholungsbedürftig.» (445)

Die Bewohnerinnen und Bewohner der Zürcher Landschaft nahmen die Umwälzungen zum Anlass, für mehr Gemeindeautonomie einzustehen. Dabei zeigt sich ein wachsender Gegensatz zwischen der Stadt Zürich und den ihr untertanen Gebieten. Deshalb nahmen die reformatorischen Umtriebe an den Rändern der Zürcher Herrschaft, wo die städtische Ordnungsmacht weniger rasch und weniger heftig zugreifen konnte, besonders rasch revolutionären Charakter an. Denn die Landschaft bildete anfänglich die treibende Kraft in der Zürcher Reformation. Die bäuerliche Mehrheit des Standes Zürich griff früher zu radikalen Mitteln wie Bilder- oder Klostersturm, als dies innerhalb der Stadtmauern der Fall war. Die Eindämmung bäuerlicher – wie später täuferischer – Umtriebe erfolgte erst, als die städtische Obrigkeit die kirchliche Ökonomie und damit die öffentliche Ordnung in Gefahr sah. Sie wurde auch mit den Vorwürfen und Pressionsversuchen der Eidgenossenschaft konfrontiert, die den Religionsfrieden und damit das Bündnis als solches für bedroht hielt. Mit der Verweigerung der Zehntabgaben, der Abschaffung von Jahrzeitstiftungen und anderen Opfergaben stellten die Bauern die alte Ordnung derart in Frage, dass sie sich als losgelöst vom alten Opferkultus betrachteten. Dadurch fiel aus bäuerlicher Perspektive gleichzeitig die Legitimation der (kirchlichen) Grundherrschaft dahin, verbunden mit der drückenden Leibeigenschaft. Die Bauern zeigten, dass der springende Punkt in der Reformation bei der Bruchstelle zwischen Religion und Recht lag. Indem sie sich auf den freien Willen und das Schriftprinzip der Reformation beriefen, legitimierten sie ihre Zerstörung von Urkunden und Herrschaftstiteln aus den grundherrlichen Kanzleien. Die freiheitlichen Vorstellungen und Denkmuster bezogen die bäuerlichen Produzenten meist von Ortspfarrern, die ihre reformatorischen Ansichten in den Predigten und in öffentlichen Aufrufen darlegten. Hierin zeigt sich die personale Komponente der theologischen Abhängigkeit der Landschaft von der gelehrten städtischen Theologie. Deren Nähe zur städtischen Herrschaft brachte es mit sich, dass man den revolutionären bäuerlichen und täuferischen Bewegungen letztlich Einhalt zu bieten verstand.

Zitierweise:
Patrick Zehnder: Rezension zu: Peter Kamber, Reformation als bäuerliche Revolution. Bildersturm, Klosterbesetzungen und Kampf gegen die Leibeigenschaft in Zürich zur Zeit der Reformation (1522–1525), Zürich, Chronos, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 485.-486

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